Christkönigssonntag:   
Kurzer Prozeß    

In den Anfängen des Deutschen Fernsehens hieß es: "Das Fernsehgericht tagt", und lief gerade einmal im Monat. Das Pendant des DDR Fernsehens hieß "Der Staatsanwalt hat das Wort". Schon der Titel war Programm.
Heutzutage gibt es vier oder fünf – ich habe es nicht nachgezählt – Gerichtsshows pro Tag. Nach amerikanischem Vorbild werden im Bildzeitungs-Stil mehr oder weniger wirklichkeitsnahe oder -fremde Fälle, je nach dem, so dargeboten, daß sie gut zwischen zwei Werbeblöcke passen. Und nicht selten hat man den Eindruck, daß die Darsteller gerade eben noch in der Talkrunde des Nachbarkanals dargelegt hatten, weshalb sie ihren Lebenspartner gegen den Freund ihrer besten Freundin ausgetauscht haben... Tonfall, Ausdrucksweise, Mimik und Schminke sind frappierend ähnlich. Nun ja, frei nach Shakespeare: Wem’s gefällt...
Das Ende des Kirchenjahres lenkt unseren Blick auf den Prozeß schlechthin: Der Richter wird derart kurzen Prozeß machen, da keine Firma der Welt bereit wäre, für Werbeeinlagen zu zahlen. Denn all die, die da zusammengerufen werden, tragen ihr Urteil längst schon ins Gesicht geschrieben, sodaß der Richter Gut und Böse so schnell und leicht voneinander trennen kann, wie der Hirt die Schafe von den Böcken trennt.
Die Einschaltquote wird wahrscheinlich gering sein, die "Ausschaltquote" dagegen um so höher.
Da wird manch einer erschrocken fragen, wann haben wir dich denn hungrig gesehen, wir haben doch nur vor dem Fernseher gesessen. Und der Richter wird antworten: Dann weißt du ja, was jetzt kommt!


(C) 2002 Heribert Ester