2. Fastensonntag:   
Vom Gipfel hinab   

Die Erzählung von der Verklärung Jesu, die in diesem Jahr am zweiten Sonntag in der Fastenzeit gelesen wird, ist einer meiner Lieblingstexte aus den Evangelien. Das Bild, das der Künstler M. Förster zu diesem Text gezeichnet hat, erinnert mich an die Hängebrücke zur "Sheep Island" in Nordirland. Von weit oben wird man zu einer schwingenden Brücke hinuntergeführt, um dann - einer nach dem anderen - etwa 50 Meter über dem Meer den Weg zur Insel zu nehmen.
Das ist gerade das Richtige für mich: eine Brücke, die alles vermissen läßt, was man "festen Boden unter den Füßen" nennen könnte, und das in immer noch schwindelnder Höhe, und nur, um irgendwo hinzugehen, wohin man ja eigentlich gar nicht muß. Ich wollte diese Insel besuchen als Tourist. Ich muß dort nicht leben oder arbeiten, aber gerade deshalb muß ich wieder zurück, wenn ich sie nur als Besucher betreten habe.
Die Jünger kommen zurück von einem Berg, auf den sie auch nicht gehen mußten. Aber, nachdem sie einmal dort gewesen waren, wurde ihnen klar, daß sie dort nicht bleiben konnten. Einen Moment lang hatten sie vielleicht mit dem Gedanken gespielt, dort ihre Zelte, Hütten, aufzuschlagen, aber das ging nicht. Ihr Leben fand woanders statt. Und sie kehrten zurück mit der Erfahrung des Berges. Ich kehrte zurück mit der Erfahrung, daß diese Brücke mich schon einmal getragen hatte. Solche Brücken, solche Glaubenserfahrungen wünsche ich Ihnen und mir immer wieder. Momente, die uns über Täler und Schluchten tragen, und vor allem Menschen, die uns dort begleiten und uns zurufen: Du hast diesen Weg schon einmal geschafft.



(C) 2000 Heribert Ester