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Das erneuerte Kirchenjahr

Die Zeit im Jahreskreis

Der Beginn des Kirchenjahres am 1. Adventssonntag und die Entfaltung des Christus-Geheimnisses im Jahreskreis könnten den Gedanken nahe legen, es handle sich im Kirchenjahr um ein geistliches Spiel des Lebens Jesu: Von der Geburt über den Tod bis zur Wiederkunft. Dies allerdings war nie die Absicht in der Geschichte des Kirchenjahres. Kern und Mitte des liturgischen Jahres ist das österliche Pascha-Mysterium.

Als Wochenpascha gefeiert (Sonntagsfeier) bildet es bereits in der apostolischen Zeit den Schwerpunkt des christlichen Gottesdienstes. An der Wende zum 2. Jahrhundert folgt ihm das Jahrespascha (Osterfeier). Über drei Jahrhunderte hinweg gibt es neben der Sonntags- und Osterfeier kein anderes Fest. Das Bekenntnis zum wesensgleichen Gottessohn, dem Imperator und Kyrios, führt im 4. Jahrhundert zu einem weiteren Festkreis: Im Westen zum Weihnachtsfestkreis, im Osten zum Fest Epiphanie. An Wochentagen (feriae), an denen es in der frühen Kirche noch keine Eucharistiefeier gibt, wird die Erinnerung an Tod und Auferstehung Christi im Stundengebet (Gemeindegebet) begangen. In die zunehmende Entfaltung der Christus-Mysterien wurden auch Stationen im Leben Mariens und Gedenktage an Märtyrer und Heilige einbezogen. Man sah in ihrem Leben und Sterben einen Erweis der verwandelnden Kraft des Pascha-Mysteriums. Im Mittelalter entsteht eine weitere Gattung christlicher Feste, sogenannte Ideenfeste. Ihr Inhalt sind nicht Heilsereignisse, sondern Glaubenswahrheiten, Aspekte der christlichen Lehre und Frömmigkeit. Zu diesen Devotions- oder Andachtsfesten zählen z. B. das Dreifaltigkeitsfest, Fronleichnam, Herz-Jesu- und Christkönigsfest sowie zahlreiche Marienfeste. Zurecht hat man sich in der Liturgiereform (1969) gegen die Vermehrung solcher Feste gewehrt, einzelne dieses Typs wurden sogar wieder abgeschafft (Fest vom Kostbaren Blut, Fest der Mutterschaft Mariens). Die Vermehrung der Feste insgesamt führte zu einer Verunklarung der durch die Paschafeier geprägten Grundstruktur zugunsten eher peripherer Frömmigkeitsformen. Nach dem Trienter Konzil (16. Jh.) gab es nicht weniger als sechs minutiös rubrizierte Rangordnungen von Festlichkeit. Die Liturgiereform des Vaticanums (LC 107) führte 1969 zu leicht überschaubarer Einfachheit: Es gibt Hochfeste (z. B. Ostern, Pfingsten), Feste (z. B. Apostelfeste), Gedenktage (z. B. viele Heilige).

Der Sonntag – Der Urfeiertag

Der Sonntag ist wie keine andere Institution unserer Gesellschaft mit der Kirche verbunden. Dieser Konnex erklärt auch, weshalb bis in die jüngste Zeit hinein die Sonntagsgestaltung als Gradmesser für religiöse Praxis und Kirchlichkeit galt. Der rapide soziale Wandel nach der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts allerdings bewirkte einen radikalen Denkwandel im Verhältnis zum Sonntag. In dem Mass, wie die moderne Gesellschaft mit neuen Sinndeutungen für die Lebens-, Arbeits- und Freizeitwelt aufwartet, verändert sich der Sonntag. Dagegen setzt das Zweite Vatikanische Konzil einen markanten Kontrapunkt. Zurecht wird Artikel 106 der Liturgiekonstitution, der über den Sonntag handelt, als eine der bedeutendsten Aussagen dieser Kirchenversammlung bezeichnet. Unabhängig davon, welchen Ursachen man die "Sonntagskrise" anlasten wollte, es wurde klar, dass von der Feier des christlichen Sonntags weithin die Zukunft des Christentums abhängt. Letztlich geht es um das Wesen der Kirche und die Treue zu deren Ursprung. Denn "aus apostolischer Überlieferung, die ihren Ursprung auf den Auferstehungstag Christi zurückführt, feiert die Kirche Christi das Pascha-Mysterium jeweils am achten Tag, der deshalb mit Recht Tag des Herrn oder Herrentag genannt wird" (LC 106). Es geht im Wesentlichen immer um das eine, zentrale Anliegen: Um "das Gedächtnis der Auferstehung des Herrn " (LC 102). Um dem Sonntag seine ursprünglich Würde wiederzugeben, verfügt die Liturgiereform des Kirchenjahres, dass nur ein Hochfest oder Herrenfest den Sonntag verdrängen darf. Dies macht deutlich, wie sehr sogenannte "Zwecksonntage" oder "Motivmessen" dem Wesen des Sonntags als Gedächtnisfeier des Todes und der Auferstehung des Herrn widersprechen.

Die "Sonntagspflicht"

Gemäß Artikel LC 106 hat die hervorragende Stellung des Sonntags Konsequenzen: "An diesem Tag müssen die Christgläubigen zusammenkommen". Dieses "Müssen" sollte weniger als eine moralische und juridische Verpflichtung (vgl. CIC can. 1247) gesehen werden, als vielmehr eine aus dem Wesen der Sache begründete Notwendigkeit. Wie man atmen muss, muss die christliche Gemeinde zusammenkommen um die Erinnerung an Jesus Christus durch die Zeiten wachzuhalten, um im Wort und Mahl gestärkt zu werden, "müssen" Christen sich versammeln, weil niemand für sich allein Christ sein kann. Das moderne Freizeitverhalten und die enorme Mobilität unserer Gesellschaft drängt die Überlegung auf, ob dieses "Müssen" nicht auch im Zusammenhang einer gewissen Solidarität und Verbindlichkeit mit der eigenen Pfarrei zu sehen wäre, die darauf angewiesen ist, dass sich die Pfarreimitglieder gerade an Hochfesten nicht zuvor schon in alle Winde zerstreuen und damit die Feier zentraler Geheimnisse gefährden.

Was will das "Kirchenjahr"?

Das Kirchenjahr ist keine das bürgerliche Jahr konkurrenzierende Zeitrechnung. Dies zeigt schon der im Verlauf seiner Geschichte unterschiedliche Beginn. Es begann an Ostern, an Weihnachten (im alle 25 Jahre begangenen Heiligen Jahr), oder zu Beginn der österlichen Vorbereitungszeit (in der Ostkirche). Der Begriff ist übrigens nicht so alt, wie man annehmen möchte. Erstmals taucht er in der lutherischen Liturgik des späten 16. Jh. auf. Später wurde er auch katholischerseits übernommen. In der frühen Kirche gab es dazu keinen Anlass. Denn das Interesse konzentrierte sich auf die "Feier der Pascha Mysterien" in der sonntäglichen Zusammenkunft und in der jährlichen Osterfeier. Das sonntägliche Herrenmahl beschränkte sich zunächst auf die Sonntage, an Werktagen fand man sich zum Stundengebet zusammen. Im 3. und 4. Jh. wurde die Osterfeier auf fünfzig Tage ausgeweitet (bis Pfingsten) und ihr eine Vorbereitungszeit von vierzig Tagen vorangestellt. Das Bekenntnis zu Christus, dem wesensgleichen Gottessohn, führte schließlich zu einem weiteren Festkreis: Im Osten zu Epiphanie (Erscheinung des Herrn), im Westen zu Weihnachten. In Anlehnung an Ostern wurde auch Weihnachten eine Vorbereitungszeit vorangestellt, der Advent. Die restlichen 33 bez. 34 Wochen im Jahr werden nicht durch ein besonderes Christusgeheimnis geprägt. Man nennt sie die "Zeit im Jahreskreis".
Seit dem 10.Jh. verstärkt sich die Tendenz zu historisierenden Christusfesten: Verklärung Christi (1457), Namen Jesu (1721), Kostbares Blut (1849), Hl. Familie (1921). Neu ist seit der ersten Jahrtausendwende der Typ des "Ideen- oder Devotionsfestes": Trinitätsfest (10. Jh.), Fronleichnam (13.Jh.), Herz Jesu (17.Jh.), Christkönig (20.Jh.). Weiterhin typisch für das zweite Jahrtausend ist die Überwucherung des Sonntags durch die Heiligenfeste. Zwar gab es bereits im 3. und 4. Jh. Martyrerfeste; aber im Grunde verstand man sie als Osterereignisse, in denen sich das Schicksal Christi von Tod und Auferstehung in einem Menschen konkretisierte.
Die Liturgiereform des Zweiten Vaticanums versucht dem Sonntag seine hervorragende Bedeutung zurückzugeben. Denn "am Sonntag versammeln sich die Christen auf der ganzen Welt zur Gedächtnisfeier der Auferstehung Jesu Christi. Dabei erinnern sie sich dankbar seines Leidens, seines Sterbens am Kreuz uns seiner Auferweckung am dritten Tag. In der liturgischen Feier wird in der Gemeinde je neu dieses große Heilswirken Gottes an dem Menschen in seinem Sohn gegenwärtig" (KG S. 305). Seiner zentralen Bedeutung wegen darf nur ein Hochfest an die Stelle des Sonntags treten. Grundsätzlich soll keine Festfeier ständig den Sonntag verdrängen.
In der liturgischen Feier des Kirchenjahres wird nicht nur an Heilsereignisse erinnert, sie werden gegenwärtig gesetzt, vergegenwärtigt. Es geht dabei immer um das Ganze des Menschen, um seine ganzheitliche Befreiung. Dies umfasst nicht nur seine geistliche, geschichtlich-politische Situation, sondern seine ganze Lebenswelt: Schöpfung, Natur, Umwelt. Zurecht wurden deshalb gegen Ende des letzten Jahrhunderts vermehrt die anthropologischen und politischen Konsequenzen liturgischen Feierns mitbedacht.

Walter Wiesli, Quelle: Katholisches Gesangbuch

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