Das erneuerte Kirchenjahr
Die Österliche Bußzeit
Die Fastenzeit, mit dem offiziellen
Namen "Österliche Bußzeit", ist schon ganz von der österlichen
Thematik bestimmt und wird so zur festlichen vierzigtägigen
Vorbereitung auf Ostern, dem höchsten Fest der Christen. Die Betonung
des Fastens im deutschen Begriff "Fastenzeit" (im Gegensatz
zu andern Sprache, so beispielsweise Carême, Quaresima) sollte den
freudigen Unterton nicht vergessen lassen. Die lateinische Liturgie
verblieb beim ursprünglichen Namen Quadragesima (von lat. 40), weil
dieser Zahl eine biblische Typologie zugrunde liegt: Jesus fastete 40
Tage, die Wüstenwanderung dauerte 40 Jahre, Mose blieb 40 Tage auf
dem Berg Sinai usw. Da an Sonntagen, dem Gedächtnistag der
Auferstehung nie gefastet wurde, beginnt die vierzigtägige Bußzeit
bereits am Mittwoch (Aschermittwoch) vor dem ersten Fastensonntag und
endet vor dem Abendmahlsgottesdienst am Hohen Donnerstag.
Die Thematik der Fastensonntage ist zielstrebig auf das Ostergeschehen
hin angelegt. In Solidarität mit allen Menschen zeigt sich Jesus
versuchbar (1. Fastensonntag), erfährt aber trotz Voraussicht auf
sein Scheitern am Kreuz Gottes Zusage auf Verherrlichung (2.
Fastensonntag). Die drei folgenden Fastensonntage verdeutlichen den
Zusammenhang zwischen Ostern und Taufe. Die Gemeinde lebt aus dem
Glauben, dass wir in der Taufe mit Christus in seinen Tod hinein
begraben wurden und mit ihm auferstanden sind (Röm 6,3). Selbst wenn
in der Gemeinde keine Katechumenen (Taufbewerber) auf dem
Vorbereitungsweg sind, sollte in dieser Zeit der Zusammenhang zwischen
Ostern und der Christwerdung durch die Taufe, Firmung und Eucharistie
bedacht und vertieft werden. Der 6. Fastensonntag (Palmsonntag) bringt
das Ostergeschehen andeutungsweise in umgekehrter Abfolge zur
Darstellung: Der als Sieger verherrlichten Christus zieht in Jerusalem
ein und der an den Schandpfahl gehängte Gottesknecht stirbt am Kreuz.
Schwerpunkte – Brauchtum
Das religiöse Fasten ist in vielen,
auch nichtchristlichen Religionen verbreitet. Es dient der Unterstützung
des Gebetes, dem Kampf gegen Süchte und soll Raum schaffen für den
Geistempfang. In diesem Zusammenhang weist die Liturgiekonstitution
des Vaticanums II (Nr. 109/110) auf die "sozialen Folgen der Sünde"
hin, auf die man sich in Buße und im Fasten vermehrt besinnen soll.
Gemeint sind vorab auch die strukturellen Sünden von Egoismen,
Ausbeutung und Ungerechtigkeit, wie sie moderne Staats- und
Wirtschaftssysteme zu Hauf produzieren. Aktionen wie das "Fastenopfer"
(seit 1961), "Brot für alle" (seit 1961) und
"Misereor" (seit 1959) bemühen sich, den Bußgedanken
vermehrt auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene zu aktualisieren.
In Gemeinschaftsanlässen wie ökumenischen Suppentagen wird die
solidarische Mitverantwortung und das Problembewusstsein im Blick auf
die Nöte der Welt vertieft und die Bereitschaft zum Mit-Teilen eingeübt.
Mit dem Ritus der Aschenauflegung begann im Altertum für die öffentlichen
Büßer die Zeit ihrer Versöhnung mit der kirchlichen Gemeinschaft.
Seit dem 11. Jahrhundert ist die Austeilung der Asche an alle Gläubigen
belegt. Neben der traditionellen Deutung: "Bedenke, Mensch, dass
du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst" (Gen
3,19), erinnert das programmatische Reichgottes-Programm "Bekehrt
euch und glaubt an das Evangelium" (Mk 1,15) bei der
Aschenauflegung an eine ganzheitliche Neuorientierung im Handeln und
Denken. Damit wird deutlich, dass das Fasten nur ein Teilaspekt dieser
liturgischen Zeit darstellt.
Von Misereor (1976) und vom Fastenopfer (1977) wurde das nur noch in
spärlichen Resten vorhandene Fastensymbol "Hungertuch" neu
aufgegriffen. Es handelte sich ursprünglich um ein Fastenvelum, womit
dem Volk seit dem 11. Jahrhundert in der Fastenzeit der Blick zum
Altar verdeckt wurde. Im heutigen Hungertuch möchten Werke von Künstlern
der Dritten Welt helfen, religiöse und kulturelle Werte, aber auch
Probleme und Nöte von Mitchristen in der Dritten Welt aufzuschließen
und auf diese Weise den Fastengedanken zu vertiefen.
Etwa zeitgleich mit dem Hungertuch entwickelte sich der Brauch, am
Passionssonntag (5. Fastensonntag) die Kreuze und Bilder mit violetten
Tüchern zu verhüllen. Anfänglich bezog sich der Brauch nur auf
kostbare, mit Edelsteinen geschmückte Kreuze (Gemmenkreuze), später
wurde er auf alle Kreuze und Bilder ausgedehnt. Seit der
Liturgiereform ist der Verhüllungsbrauch freigestellt.
Den "Mittefasten"-Sonntag, nach dem lateinischen Eröffnungsgesang
Laetare-Sonntag benannt, kennzeichnet eine freudige Stimmung. So lag
es nahe, hier Frühlingsbräuche anzusiedeln, die es mit dem Erwachen
der Natur zu tun haben. Dazu gehören beispielsweise die "Mittefastenfeuer",
die sich in manchen Gegenden der Schweiz erhalten haben.
Unter den volkstümlichen Gebetsformen nimmt der "Kreuzweg"
eine bevorzugte Stellung ein. In Anlehnung an das meditative Begehen
der Via dolorosa (Kreuzweg Christi) in Jerusalem und dem Bedenken der
einzelnen Geschehnisse (Stationen) entwickelte sich auch hierzulande
die Kreuzwegandacht. Seit dem 16. Jahrhundert setzt sie sich mit einem
Kanon von 14 Stationen durch. In manchen Kirchen finden sich dazu
Bilder oder Plastiken, manchenorts gibt es sie auch im Freien auf
ausgedehnten Wegen. Seit dem Vaticanum II ist auch ein
"biblischer Kreuzweg" im Gebrauch, der mit der
Abendmahlsszene beginnt und mit der Auferstehung endet. Aus der
traditionellen Kreuzwegandacht werden nur sechs Stationen weiterhin
verwendet. In der Schweiz findet sich eine entsprechende Darstellung
in der Kirche Goldau SZ. Das KG bietet neben einem traditionellen
Kreuzweg in einer analogen Stationenabfolge eine neue, zweite
Kreuzwegandacht, die den Kreuzweg der Menschheit meditiert, den diese
in der Gefolgschaft Jesu geht.
Walter
Wiesli, Quelle: Katholisches Gesangbuch
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