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Gottesdienst zeitgerechter gestalten
Interview mit Dozent Schneider

Nach Auffassung des Erfurter Theologen Franz Schneider muss die liturgische Praxis der Kirche zeitgerechter, also situationsgemäßer und missionarischer werden. Der Tag des Herrn sprach mit dem Liturgiker, der am 27. Januar seine Abschiedsvorlesung an der Theologischen Fakultät Erfurt hielt, über Chancen und Defizite der Gottesdienste in den Gemeinden.

Frage: Herr Dozent Schneider, Sie waren mehr als 20 Jahre für die liturgische Ausbildung der Theologen in Erfurt zuständig. Wie steht es um die Liturgie in unseren Breiten?

Schneider: Grundsätzlich positiv: Gerade im Bereich der seinerzeitigen Berliner Bischofskonferenz ist die vom Zweiten Vatikanischen Konzil Mitte der 60er Jahre eingeleitete Liturgiereform in großer Breite positiv aufgenommen worden. Wichtige Ursache dafür war sicher unsere Diasporasituation, also die ökumenische Nachbarschaft und die zunehmend nichtchristliche Umgebung, aber auch Personen wie die Bischöfe Spülbeck und Aufderbeck.

Frage: Dennoch sehen Sie Reformbedarf?

Schneider: Ja, aber nicht im Sinne einer Umkehr der Liturgiereform, wie es Gruppierungen möchten, die sich gern auf Kardinal Ratzinger berufen. Inwieweit zurecht, sei dahingestellt. Ich meine, die Liturgiereform des Konzils muss weitergeführt werden.

Frage: Inwiefern?

Schneider: Gerade in unserer nachchristlichen Gesellschaft brauchen wir eine nachhaltig christliche und deshalb situationsgerechte und missionarische Liturgie. Jeder von uns hat schon Gottesdienste erlebt, bei denen ihm gut bekannte oder nahestehende Menschen, die keine Christen sind, anwesend waren: Taufen, Trauungen, Beerdigungen: Weil wir dann sozusagen mit ihren Sinnen wahrnehmen, was in dem konkreten Gottesdienst geschieht, merken wir sehr deutlich, ob die Feier wohlwollend Interessierte eher einbezieht und mitnimmt - oder mehr befremden muss. Und das hängt von der vorgegebenen Gestalt der liturgischen Feier, aber auch von der Gestaltung und vom Verhalten der Gottesdienstgemeinde ab.

Frage: Was ist zu tun?

Schneider: Der Gottesdienst muss die Menschen in ihrer Situation abholen und sie eingebettet in die Kommunikation untereinander mit Gott in Beziehung bringen. In dem wir uns zum Beispiel gegenseitig in der Messe den Frieden zusprechen, erbitten wir dem anderen den Frieden des Herrn. Wichtig ist aber, dass die Teilnehmer diesen Zusammenhang realisieren. Angesichts der vielen Mitmenschen, die keinen direkten Zugang zum Glauben haben, gilt es, immer wieder nach verständlichen liturgischen Formen zu suchen.

Frage: Woran denken Sie?

Schneider: Etwa an das Erfurter Weihnachtslob für Nichtchristen und die Feier der Lebenswende als christlicher Hilfe zur Sinnfindung für Jugendliche. Doch dies sind punktuelle Angebote, nötig sind auch Formen für den Alltag, wie zum Beispiel meditativ gestaltete Mittagsgebete in den Kirchen der Fußgängerzonen. Es gibt die Sehnsucht nach dem Sinn und nach dem Heiligen. Damit sich jeder als von der Kirche eingeladen fühlen kann, ist jeder Christ gefordert - auch hinsichtlich der liturgischen Gestaltung. Insofern war das Konzil erst ein Anfang, und wir stehen am Übergang von einer hierarchisch verfügten zu einer sich von der Gemeinde her entwi-ckelnden Liturgiereform.

Interview: Eckhard Pohl

Quelle: Tag des Herrn 6/2000

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